Deutsche Anleger bangen um ihr Geld in russischen Aktien Seit dem Ukrainekrieg darf in Deutschland nicht mehr mit Aktien von etwa Gazprom, Sberbank und Lukoil gehandelt werden. Inhaber sogenannter Hinterlegungsscheine sollen diese umtauschen – das ist schwierig. Ingo Narat Ingo Narat 27.07.2022 Update: 27.07.2022 - 17:30 Uhr 4 Kommentare Jetzt teilen Die Moscow Exchange Moex in Moskau Quelle: imago images/ITAR-TASS Moscow Exchange Anteilscheine an großen russischen Konzernen wie Gazprom wurden mittels Hinterlegungsscheinen an westlichen Börsen handelbar gemacht. Bis zum Sommer 2022 müssen Anleger diese Scheine nun in Originalaktien getauscht haben. (Foto: imago images/ITAR-TASS) Frankfurt Besitzer von Hinterlegungsscheinen russischer Aktien bangen um ihr Kapital – eine Folge des Krieges. Denn seit Beginn des Ukrainekriegs ist der Handel mit diesen Papieren auch an der Deutschen Börse eingestellt. Die Anleger werden von ihren deutschen Depotbanken aufgefordert, diese Anrechte in Originalaktien zu tauschen. Doch dabei gibt es diverse Probleme. „Bisher kennen wir keinen Fall, in dem der Umtausch geglückt ist“, räumt Marc Liebscher, Rechtsanwalt und Vorstand der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK), ein. Zudem beklagen sich betroffene Anleger über mangelnde Unterstützung ihrer deutschen Depotbanken, wie dem Handelsblatt vorliegende Schreiben belegen. Es deutet sich an, dass die Zahl der Betroffenen groß ist. Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) berichtet über mehr Anfragen zu russischen Wertpapieren als zum Thema Wirecard. Auch die große Resonanz von Handelsblatt-Lesern auf Artikel zum Thema zeigen die Relevanz für viele Anleger. Der Informationsbedarf ist enorm, die Betroffenen wirken überfordert. „Der Umtausch wirft komplexe und grenzüberschreitende kapitalmarktrechtliche Fragen auf, wir empfehlen, einen kundigen Rechtsanwalt einzuschalten“, sagt Liebscher. Die SdK etwa gibt an, mit der Berliner Kanzlei Schirp & Partner zusammenzuarbeiten. THEMEN DES ARTIKELS Russland Gazprom Deutsche Börse JP Morgan Chase Gazprom, Sberbank, Lukoil: Anleger sollen ADR in originale Aktien umtauschen Die unübersichtliche Lage ist Ergebnis der westlichen Sanktionen gegen Russland und der russischen Gegensanktionen. Russische Aktien sind betroffen. Anteilsscheine an großen russischen Konzernen wie Gazprom, Lukoil, Sberbank oder Tatneft wurden bisher durch die Ausgabe von Hinterlegungsscheinen, die Anteile an den Originalaktien verbriefen, an westlichen Börsen handelbar gemacht. Auch deutsche Anleger besitzen diese verbrieften Eigentumsrechte, meist in Form sogenannter American Depository Receipts (ADR). Das System geriet durch den Ukrainekrieg aus den Fugen. Bereits Ende Februar begann die Deutsche Börse im Zuge der Sanktionen, den Handel mit russischen Wertpapieren einzustellen. Die Originaltitel in Moskau waren im März hingegen nur kurzfristig ausgesetzt worden. Zwei Monate später zwang ein russisches Gesetz die heimischen Unternehmen, ihre Hinterlegungsschein-Programme mit den ausgebenden Banken bis zum 6. Mai zu beenden. Für Besitzer beispielsweise von ADR des weltweit größten Erdgasförderers Gazprom bedeutet das konkret: Das Scheine-Programm endet zum 3. August. Dann haben die Besitzer ein Jahr Zeit, ihre ADR in Originalaktien zu tauschen. Machen sie das nicht, werden alle Originalaktien sofort am Markt verkauft, der Erlös den Scheine-Besitzern gutgeschrieben. „Aber wegen des plötzlich hohen Verkaufsdrucks kann man mit erheblichen Kursabschlägen rechnen, auch weitere Fragen wie die Verteilung des Verkaufserlöses sind völlig offen“, sagt Rechtsanwalt Liebscher von der SdK. Aktien aus Russland: Mehrere Parteien in Umtauschprozess zu ADR involviert In dem Umtauschprozess spielen mehrere Parteien eine Rolle. Da ist zunächst die deutsche Depotbank des Scheine-Besitzers. Dann hat aus deutscher Sicht die Deutsche-Börse-Tochter Clearstream als Wertpapierabwicklungs- und Verwahrstelle eine wichtige Funktion. Eine zentrale Rolle spielen die meist US-amerikanischen Herausgeberbanken der Hinterlegungsscheine, in der Regel BNY Mellon, JP Morgan oder Citibank. Außerdem rücken jetzt auch der russische Zentralverwahrer NSD und russische Banken in den Blick. Theoretisch existieren momentan zwei Umtauschwege. Einer läuft über das westliche Bankensystem, der andere soll ohne westliche Institute auskommen. Zwar hatte Clearstream im Rahmen des sechsten EU-Sanktionsprogramms vom 3. Juni die Umtauschoperationen ausgesetzt, weil der russische Zentralverwahrer involviert war. Doch der westliche Weg scheint wieder möglich, seit Clearstream Mitte dieses Monats mitteilte, die Umtauschoperationen bis zum 31. Juli wiederaufzunehmen. Zu einer Anfrage des Handelsblatts, ob diese Frist eventuell verlängert werde, wollte Clearstream nicht Stellung nehmen. Der Schritt der Abwicklungsgesellschaft löst die Probleme allerdings nicht: Die Mitteilungen deutscher Depotbanken an ihre Kunden mit der Umtauschaufforderung lassen viele Betroffene ratlos zurück. „Wir halten diese Schreiben für – vorsichtig ausgedrückt – wenig hilfreich, weil sie die betroffenen Anleger unzumutbar belasten“, sagt Thomas Hechtfischer, Rechtsanwalt und Geschäftsführer der Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz DSW. Die Depotbanken argumentierten, wegen der verschiedenen Sanktionen sei ein Umtausch schwierig bis unmöglich. American Depository Receipts: Experten empfehlen Anlegern in Deutschland Umtausch DSW-Experte Hechtfischer empfiehlt: Die betroffenen Anleger sollten das Umtauschangebot in die Originalaktie annehmen und darum bitten, ihre ADR erst einmal in die Gattung „Zum Umtausch eingereicht“ umzubuchen. Wenn dann später die Voraussetzungen für den Umtausch erfüllt sein sollten, könne ebendieser Umtausch umgesetzt werden. Die dafür nötige Benennung einer geeigneten und nicht von Sanktionen betroffenen Bank in Russland sei bisher nicht möglich, allerdings eine wichtige Bedingung für den Umtausch. Gleichwohl scheint nun Bewegung in die verfahrene Situation zu kommen. Dass Clearstream wieder Umtauschoptionen anbietet, sehen Experten auch als eine Reaktion auf ein russisches Gesetz, das Ende Juni vom russischen Parlament verabschiedet wurde und nun noch von Präsident Wladimir Putin unterzeichnet werden muss. Anrechte auf Gazprom-Aktie: Gesetz soll Umtausch bei Gazprombank ermöglichen „Es ermöglicht die Umwandlung von Hinterlegungsscheinen in die zugrunde liegenden russischen Aktien, ohne dass nichtrussische Depotbanken, Verwahrer, Broker einbezogen werden müssen“, erklärt SdK-Vorstand Liebscher. Danach könnten Scheine-Inhaber ihren Antrag bei der russischen Depotbank des jeweiligen Programms in englischer und russischer Sprache einreichen, inklusive eines Nachweises seiner Inhaberschaft. Im Fall Gazprom sei das beispielsweise die Gazprombank. Natürlich lasse der Gesetzentwurf in diesem frühen Stadium noch viele Fragen offen, etwa die, ob ein Deutscher ein russisches Depot auch aus der Ferne eröffnen könne, meint Liebscher. Dennoch sagt er: „Wir raten zum russischen Weg.“ Der Ausgang ist bisher allerdings offen. „Getestet ist das noch nicht wirklich, die Aufträge sind in der Bearbeitungsphase“, sagt Lutz Röhmeyer, als Fondsmanager bei der Berliner Capitulum Asset Management ein Kenner des russischen Marktes. Immerhin berichtet er von einem Privatanleger, der bei der Gazprombank online zumindest ein Depot eröffnen konnte. Kaufangebote zu Anrechten auf Gazprom-Aktie unter Wert unseriös Die beiden theoretischen Umtauschwege werden unterschiedlich beurteilt. „Beim deutschen Weg weiß eigentlich keiner, was er tun soll“, meint Liebscher. Und da sich ständig die Informationslage ändere, „erscheint der russische Weg stabiler“, findet er. Russland wolle wohl den Umtausch ermöglichen, auch um wieder etwas Vertrauen bei westlichen Anlegern zu schaffen. DSW-Experte Hechtfischer allerdings wendet ein: „Es ist die Frage, ob man sich darauf einlassen sollte – denn man begibt sich in russische Hand.“ Eine dritte Variante sollten Anleger laut Experten allerdings auf jeden Fall meiden: umlaufende Aufkaufangebote anzunehmen. So werden Gazprom-ADR-Besitzern beispielsweise Preise von 0,05 oder 0,10 Euro geboten. Für Röhmeyer ist klar: „Das ist nur ein Bruchteil des Wertes und damit unseriös.“
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