Der Wert des Unternehmens hängt ganz wesentlich vom Gewinn ab, den das Unternehmen erzielen kann, denn wo kein Gewinn, da keine (nachhaltige) Möglichkeit für eine Ausschüttung, und wo kein steigender Gewinn, da keine (nachhaltige) Möglichkeit für eine steigende Ausschüttung. "Kurzfristig ist der Markt ein Schönheitswettbewerb, langfristig ist er eine Waage" (frei nach Graham). Auf hinreichend lange Sicht (d. h. mindestens über einen kompletten Wirtschaftszyklus hinweg, also ab ca. 10-15 Jahre aufwärts - ich rede hier nicht von Trading!) muss der Aktienkurs also der Gewinnerzielungsfähigkeit des Unternehmens pro Aktie folgen (und wenn er es tatsächlich tut und auch die Ausschüttungsquote sich nicht ändert, dann hat die Aktie langfristig eine konstante Dividendenrendite). Der Umkehrschluss "wo keine steigende Ausschüttung, da kein steigender Gewinn" gilt jedoch nicht, weil gerade die besten Unternehmen mit dem Gewinn etwas Besseres anfangen können, als ihn auszuschütten (Investitionen ins eigene Geschäftsmodell, Expansion in andere Märkte bzw. zusätzliche Standbeine, Aktienrückkäufe - alles ohne den Abzug von Steuern und Gebühren; in den USA sind zudem Kursgewinne steuerlich günstiger als Dividendenerträge, was der Hauptgrund für die hierzulande seltenen, dort aber weit verbreiteten Aktienrückkäufe ist). Die in den Finanzmedien weit verbreitete Aussage, dass die Dividende für den Gesamtmarkt einen wesentlichen Teil des Wertzuwachses im Depot ausmacht, ist grundsätzlich korrekt. Man kann beispielsweise aus der Wertentwicklung des Performance-DAX gegenüber dem Kurs-DAX die jeweiligen Anteile des Wertzuwachses im Performance-DAX ausrechnen (und kommt dort ungefähr zum Ergebnis "halbe-halbe", je nach verwendetem Zeitintervall; wenn lange Krisen darin enthalten sind, schneiden Dividendenaktien schlechter ab als Wachstumswerte, weil dann Dividendenausfälle wahrscheinlicher werden). Der Umkehrschluss, dass eine höhere Dividendenrendite zu einem höheren Wertzuwachs im Depot führen könnte, ist jedoch nicht zutreffend. Das liegt daran, dass die meisten schnell wachsenden Unternehmen keine bzw. nur eine minimale Dividende ausschütten, die gar nicht mehr wachsenden Unternehmen hingegen eine hohe Dividende (weil letztere für das Geld keine sinnvolle Verwendung mehr haben und die Aktionäre in diesem Fall lieber auf eine hohe Ausschüttung drängen, als dem Unternehmen große und riskante Übernahmen zu erlauben). Wenn du für hinreichend viele Aktien das Pärchen aus prozentualem Zuwachs des Gewinns pro Aktie und der Dividendenrendite betrachtest, dann wirst du schnell sehen, dass das Gewinnwachstum viel stärker streut als die Dividendenrendite: Du wirst zahlreiche Aktien finden, die ihren Gewinn um mehr als 10% pro Jahr steigern können, aber kaum eine Aktie, die mehr als 10% Dividende ausschüttet. Um das Wachstum einer Alphabet aufzuwiegen, braucht man erheblich mehr als die Dividende einer Deutsche Telekom. Schau dir einfach mal im DAX an, welche Unternehmen langfristig (in den letzten 10-12 Jahren, also ab einem Zeitpunkt deutlich vor dem Höhepunkt der Immobilienblase) den höchsten Wertzuwachs (inklusive Dividende!) erzielt haben und wie hoch die von ihnen ausgeschütteten Dividenden sind. Bei den Gewinnern wirst du Unternehmen wie Beiersdorf, Henkel, Fresenius und SAP finden (alles niedrige Dividendenzahler), bei den Verlierern die Banken, Versicherungen, die deutsche Telekom und die Stromversorger (alles hohe Dividendenzahler). Eine hohe Dividendenrendite ist nahezu ein Kontraindikator für überdurchschnittlich gute Aktien (allerdings auch nahezu ein Kontraindikator für extrem schlechte Aktien, die gar keinen Gewinn erwirtschaften, den man ausschütten könnte; mit einer Dividendenstrategie landet man fast automatisch im Mittelfeld, also nahe an der Marktperformance, was für Stockpicker schon mal eine beruhigende Nachricht ist). Es gibt praktisch keine Aktie, die neben einer Dividendenrendite von mehr als 4% auch noch schnell wächst (und wenn es sie gäbe, dann wäre es für das Unternehmen falsch, eine so hohe Dividende auszuschütten, weil dann Aktienrückkäufe langfristig besser wären). Coca-Cola, Johnson&Johnson, Nestlé, Novartis, Procter&Gamble und Unilever wachsen zwar ziemlich stetig, aber nicht sonderlich schnell. 5% lückenlose Dividendenausschüttung plus 5% EPS-Wachstum (ersatzweise auch 3,5% Dividendenrendite plus 6,5% EPS-Wachstum) ist schon das Beste, was man bei Dividendenaktien finden kann (bei manchen Zyklikern wie Daimler ist etwas mehr drin, allerdings mit entsprechenden Risiken, wie die Pleite von General Motors gezeigt hat); Verizon erreicht ungefähr dieses Niveau, im Gegensatz zu den Ölmultis. Das ist dann gerade mal ein solider Marktperformer, aber deutlich weniger, als die schneller wachsenden Nike, Novo-Nordisk oder Visa abgeliefert haben. Über den Daumen gepeilt "kostet" 1% an zusätzlicher Dividendenrendite knapp 3% Gewinnwachstum pro Jahr. Das ist keine Ursache-Wirkung-Beziehung, sondern eine statistische Beobachtung, weil die Bandbreite beim EPS-Wachstum etwa drei Mal so groß ist wie die Bandbreite bei der Dividendenrendite. Aktien mit 8% EPS-Wachstum und 2% Dividendenrendite (also ebenfalls 10% Wertsteigerung wie die besten Dividendenaktien) gibt es hunderte, aber eben auch diverse Aktien mit 15% EPS-Wachstum (als Durchschnittswert über ein Jahrzehnt) und ohne Dividende. Und zum Teil sogar für niedrigere KGVs als Nestlé. --- Eigentlich wollte ich gar keine Grundsatzdiskussion über Dividendenstrategien anfangen. Ich wollte lediglich darauf hinweisen, dass man auch mit einer Aktie, die ihren Dividendenabschlag jedes Mal wieder aufholt, sehr wohl einen Underperformer erwischen kann. Wenn der Aktienkurs nicht mehr schafft als dieses Aufholen, dann hat man sogar mit absoluter Garantie einen Underperformer vor sich, weil praktisch keine Aktie eine Dividende von mehr als 8% ausschüttet, aber der Gesamtmarkt langfristig um 8% steigt. Es ist also gar nicht möglich, ohne Gewinnwachstum auch nur mit dem Gesamtmarkt mithalten zu können. Wie soll dann ein Indikator wie die Dividendenrendite, die das Gewinnwachstum nicht berücksichtigt, eine gute Aussagekraft besitzen? Dividendenrendite plus jährliches Dividendenwachstum wäre ein brauchbarer Indikator, wenn die Unternehmen immer dieselbe Ausschüttungsquote verwenden würden (denn dann würde die Dividende im selben Tempo wachsen wie der Gewinn). Das tun die Unternehmen aber leider nicht. Also muss man direkt das EPS-Wachstum plus die Dividendenrendite (was z. B. in https://www.fool.sg/2015/06/11/1-quick-ratio-to-help-you-find-bargains-in-the-stock-market/ als "total return" bezeichnet wird) als langfristigen Trend verwenden - und zwar nicht nur für die Höhe des Wertzuwachses, sondern insbesondere für das Tempo des Ausschüttungswachstums! Denn auch die Ausschüttungen deines Depots wachsen pro Jahr (bei konstanter Ausschüttungsquote, und diese müssen wir auf sehr lange Sicht unterstellen) sowohl durch steigende Gewinne der Unternehmen als auch durch die Reinvestition der Dividenden (etwaige Entnahmen aus dem Depot mal ausgeblendet, weil diese mit der Entwicklung des Unternehmens nichts zu tun haben). Es geht also gar nicht um Kursgewinne um ihrer selbst willen, sondern um EPS-Wachstum als Voraussetzung sowohl für Kurs- als auch für Ausschüttungswachstum. Deshalb gelten meine Aussagen auch bei "ewiger" Haltedauer und kompletter Missachtung des Depotwertes. Wenn aber der Gesamtmarkt jede reine Dividendenaktie ohne Gewinnwachstum auf lange Sicht (d. h. eben gerade ohne Trading! Falls man Dividendenaktien auf dem Tiefpunkt einer Wirtschaftskrise kaufen kann, sind anschließend ein paar Jahre lang durchaus mehr als 8% pro Jahr drin) schlägt, dann tut dies auch jede einzelne Aktie mit einem EPS-Wachstum von mindestens 8% (weil ihre Dividendenrendite ggf. noch hinzu kommt und nicht negativ sein kann). Wer also einen ausschüttenden MSCI World ETF langfristig schlagen will (und das muss das Ziel eines jeden Stockpickers sein, denn sonst könnte man sich die Zeit und den Aufwand sparen), der darf nicht ausschließlich Dividendenaktien kaufen (es sei denn, sie wären gerade deutlich unterbewertet, aber Trading wollten wir ja nicht betrachten), weil er sonst automatisch in Richtung Marktperformance steuert (und dann nicht besser als diese abschneiden kann). Ein paar Dividendenaktien im Depot sind nicht grundsätzlich verkehrt, unabhängig davon, ob man von den Erträgen schon jetzt leben muss oder dies erst für später plant, aber auch diese Aktien sollten weder schrumpfende Gewinne noch eine hohe zyklische Abhängigkeit aufweisen (weil man von gekürzten bzw. komplett gestrichenen Dividenden schlecht leben kann, wie die Gemeinden Nordrhein-Westfalens mit ihren RWE-Papieren und das Land Niedersachsen mit seinen VW-Aktien gerade erleben). Und dies gilt umso mehr, je länger der Anlagezeitraum ist, denn mit steigender Anlagedauer wird auch das gleich schnelle Wachstum von EPS, Aktienkurs und Dividendenausschüttung (auch hier unter der Annahme einer näherungsweise konstanten Ausschüttungsquote) immer wahrscheinlicher (weil auch eine Verdoppelung der Ausschüttungsquote bei einem Zeitraum von 30 Jahren nur noch 2,34% pro Jahr ausmacht, also bei steigenden Zeiträumen immer weniger ins Gewicht fällt - bei Zeiträumen von "nur" 5-10 Jahren aber leider schon recht deutlich, wie eben gerade bei Royal Dutch festgestellt).
... Mehr anzeigen