Was sind die Ursachen für den Preisabsturz und wo ergeben sich Chancen? Lesen Sie hier die Meinung unseres Experten Stefan Maly, stellvertr. Leiter der Anlagestrategie bei der Consorsbank.
Der Ölpreis für die amerikanische Sorte WTI fällt seit Herbst 2014 wie ein Stein. Was sind die Ursachen für den Absturz?
In den vergangenen Jahren ist die Ölproduktion in den USA deutlich angestiegen. Von September 2012 bis Dezember 2014 hat sich die geförderte Rohölmenge in den USA fast verdoppelt. Damit wurden sogar die Fördermengen übertroffen, die zuletzt im März 1986 erreicht wurden.
Der Auslöser dieser deutlichen Produktionsausweitung in den USA waren die hohen Investitionen in das sogenannte Fracking. In der Folge ist die Nachfrage der USA nach Ölimporten deutlich zurückgegangen. Das aktuell verhaltene globale Wirtschaftswachstum wirkt sich ebenfalls dämpfend auf die Ölnachfrage aus.
Die Reaktion der Märkte ist fast wie aus dem Lehrbuch: ein deutlich gestiegenes Angebot trifft auf eine nahezu stagnierende Nachfrage. Die Folge ist ein deutlicher Verfall des Preises, immerhin von 115 USD je Fass im Juni 2014 auf den aktuellen Tiefpunkt von 45,75 USD je Fass am 13. Januar 2015 für die europäische Ölsorte Brent.
Saudi Arabien kämpft um Marktanteile
Saudi Arabien kommt in der aktuellen Entwicklung eine Schlüsselrolle zu. Das Land kann seine Ölförderung sehr flexibel anpassen und verfügt über relativ niedrige Förderkosten. Kam es in der Vergangenheit, z.B. durch den arabischen Frühling in Nordafrika, zu einer Verknappung von Öl auf dem Weltmarkt weitete Saudi Arabien seine Produktion aus. Bei steigendem Angebot wurde die Produktion gedrosselt und der Ölpreis auf einem relativ stabilen Niveau gehalten.
Der Fracking-Boom in den USA stellte Saudi Arabien vor eine neue Herausforderung. Mit den USA ist ein großer Ölimporteur auf dem Weltmarkt ausgefallen, was einen Kampf um Marktanteile für die anderen Ölproduzenten ausgelöst hat. Aktuell drosselt Saudi Arabien seine Produktion nicht. Das Land nutzt seine niedrigen Förderkosten, um andere Anbieter aus dem Markt zu drängen. Die Strategie zielt vor allem auf die Produzenten von Schieferöl in den USA, deren Gewinnschwelle zwischen 40 USD und 80 USD je Fass Öl liegt. Die Ölquellen in Saudi Arabien sind auch bei Ölpreisen von 10 USD profitabel.
Die Reaktion bei den US-Unternehmen ließ nicht lange auf sich warten. Die Investitionen in die Ölförderung gingen im zweiten Halbjahr 2014 laut einer Studie von Goldman Sachs um 29% im Vergleich zum Vorjahr zurück. Die Unternehmen im „Fracking-Sektor“ haben die niedrigen Zinsen genutzt und sich vor allem über Anleihen mit niedriger Bonität finanziert. Ihr Anteil am sogenannten High-Yield-Segment beträgt aktuell 10% des Emissionsvolumens.
Wo ergeben sich dadurch Chancen und wo sollte man besser nicht engagiert sein?
Risiken: Unter Druck stehen vor allem die Ölproduzenten. Der US-Markt für High-Yield-Anleihen wird eine steigende Zahl von Konkursen aus dem Segment der Schieferölproduzenten verkraften müssen.
Aber auch Länder wie Russland und Venezuela, die einen großen Teil ihrer Staatseinnahmen aus dem Öl beziehen, müssen mit sinkenden Einnahmen, fallenden Wechselkursen und steigenden Inflationsraten kämpfen. Ebenfalls negativ betroffen sind die Unternehmen, die Services für die Ölproduktion erbringen oder die Ausstattung, wie z.B. Bohrgestänge, produzieren.
Allerdings sind sie weniger stark als die Fördergesellschaften betroffen. Die Ölserviceunternehmen verzeichnen vor allem einen Rückgang beim Wachstum, dennoch bleiben die Aufträge für die Betreuung bestehender Förderanlagen vorhanden. Bei den Verlierern sind auch die erneuerbaren Energien und die Technologien zur Steigerung der Energieeffizienz zu nennen.
Kommen wir zu den Chancen: Als erstes profitieren die Verbraucher durch sinkende Preise für Benzin und Heizöl. Die Erwartung vieler Analysten ist, dass sich der Konsum in den USA und Europa deutlich beleben wird. Konsumwerte in den USA notieren allerdings bereits bei einem KGV von 17 und damit über ihrem langfristigen Durchschnitt.
Die Kosumgüterproduzenten in der Eurozone notieren aktuell bei einem KGV von 14. Die Hersteller von Konsumgütern in den Schwellenländern, die nach Europe und USA exportieren dürften ebenso einen positiven Effekt verzeichnen. Neben den Verbrauchern freuen sich auch die Fluggesellschaften über die gesunkenen Energiekosten, genauso wie energieintensive Industrieunternehmen. Mittelfristig geht von dem niedrigen Ölpreis ein positiver Effekt für die Konjunktur aus. Länder, die den größten Teil ihres Öls importieren, profitieren am stärksten. Laut einer Studie der Fondsgesellschaft Blackrock profitieren vor allem China, Indien, Großbritiannien, die Eurozone aber auch die USA von den niedrigen Energiepreisen.
In China könnte das Wirtschaftswachstum 2015 ca. 1%, in der Eurozone und den USA um 0,6% höher ausfallen als vor dem Verfall der Ölrpeise erwartet. Insbesondere für die Eurozone sind dies gute Nachrichten. Dagegen verzeichnet Russland einen Einbruch von ca. 3,8% des Wirtschaftswachstums und auch Norwegen ist negativ betroffen.
Eine gute Nachricht für die Aktienmärkte der USA und der Eurozone steckt ebenfalls in den niedrigen Ölpreisen. Ein Anstieg der Inflationsraten ist nicht zu erwarten. Dementsprechend verschiebt sich die Erwartung für die erste Leitzinserhöhung in den USA in das zweite Halbjahr 2015. In der Eurozone steigen die Chancen für eine weitere deutliche Lockerung der Geldpolitik, sprich für ein Kaufprogramm von Anleihen seitens der EZB. Weltweit bleibt die Geldpolitik damit expansiv, was bislang die Aktienkurse steigen ließ.
Wie sehen die Ölpreis-Prognosen aus?
Bleibt noch die Frage, ob die niedrigen Ölpreise so schnell verschwinden, wie sie gekommen sind. Davon gehen die meisten Analysten aktuell nicht aus. Trotz des Rückgangs der Investitionen in Förderung von Öl in den USA dürfte das Angebot hoch bleiben. Goldman Sachs rechnet erst mit einem stärkeren Angebotsrückgang, wenn die Preise für Öl, das in einem Jahr geliefert wird, deutlich unter 40 USD je Fass sinkt.
Aktuell zahlt man für Öl zur Lieferung im Januar 2015 56 USD. Die Analysten bei Goldman Sachs erwarten erst zum Jahresende wieder einen Anstieg des Ölpreises. Die US-Sorte WTI soll gemäß der Prognosen im vierten Quartal 2015 58 USD und im ersten Quartal 2016 65 USD kosten. Für 2016 erwarten die Analysten dann einen stabilen Ölpreis. Vor diesem Hintergrund ist ein Engagement in Zertifikaten auf den Ölpreis wenig attraktiv.
Die Zertifikate sind an die Entwicklung der Terminmärkte gekoppelt. Wie bereits erwähnt, wird dort ein Anstieg des Ölpreises auf 56 USD bis Jahresende bereits erwartet. Erst wenn der Ölpreis deutlich stärker steigt, können Zertifikatinvestoren einen Gewinn erzielen.