„Die allermeisten Aktivitäten – mit der Ausnahme von Atmen – funktionieren überhaupt nicht oder jedenfalls schlechter, wenn alle Menschen diese Aktivitäten gleichzeitig ausüben würden. Das ist trivial, und niemand hat ein Problem damit“, sagt Gerd Kommer, Vermögensberater und ETF-Experte. Selbst wenn der globale Marktanteil von passivem Investieren auf über 80 Prozent gestiegen sei, könne sich jeder ETF-Anleger immer noch überlegen, ob er ins aktive Lager wechselt. Doch von so einer Gemengelage sind wir weit entfernt, wie der nächste Punkt zeigt.
Der Boom von ETFs ist unbestritten. Seit der Finanzkrise 2008 hat sich das in ETFs investierte Volumen verfünffacht. Inzwischen stecken darin mehr Kundengelder als in aktiven herkömmlichen Aktienfonds, die von einem Fondsmanager gesteuert werden.
Immer wieder nennen Bankberater diese Entwicklung, um zu belegen, dass das Investieren mit ETF hochgefährlich sei, weil eben der Marktanteil schon so hoch sei. Dies sei ein Beleg, dass es bald nicht mehr funktionieren würde, weil „alle es ja bereits machen würden“.
Doch der genannte Marktanteil führt Laien in die Irre und ist für sie gar nicht relevant. Denn die globalen Finanzmärkte setzen sich aus weit mehr als dem Fondsgeschäft zusammen, dieses ist nur ein irrelevanter Teilmarkt des gesamten globalen Finanzsystems. Allein in Hedgefonds steckt weltweit genauso viel Geld wie in ETFs. Hinzu kommen Investitionen in Derivate, Einzelaktien und so weiter.
Der Marktanteil von passivem Investieren am globalen Anlagemarkt liegt geschätzt bei unter fünf Prozent. Den Großteil des Kapitals machen also noch immer klassische Finanzprodukte aus.
Kritikpunkt 3: ETFs verstärken mit ihrer Marktmacht den Abschwung, wenn es zu einem Einbruch an der Börse kommt
Immer wieder wird davor gewarnt, dass ETFs im Falle eines Crashs zu einem Brandbeschleuniger werden könnten. In der kürzlich von Arte veröffentlichten Dokumentation ruft eine aufgebrachte Börsenkorrespondentin in die Kamera: „Wer ist dann da und hält das dann? Wer kauft dann, wenn die ETFs fallen?“
Wenn es zu solch einem Herdentrieb kommt, kann das den Abschwung beschleunigen, das stimmt. Das stimmt aber für aktiv gemanagte Aktienfonds genauso. Schuld daran sind weniger die Fonds, sondern ist vielmehr das „prozyklische“ Verhalten vieler Anleger, bei Panik zu verkaufen. „Mir ist nicht bekannt, wo hier das ETF-spezifische Problem sein sollte. Das gilt für alle Anleger genauso und hat nichts mit der Struktur von ETFs an sich zu tun“, sagt Kommer. Bei einem Ausverkauf des gesamten Marktes aus Panik sind letztlich alle Aktien betroffen, unabhängig davon, ob sie direkt gehalten werden oder über Fonds oder ETFs. Selbst während der globalen Wirtschaftskrise 2008 gab es keine strukturellen Probleme mit ETFs.
Die Kunst für Anleger ist es, solche Krisen auszusitzen. Egal, wann jemand in den vergangenen 69 Jahren in den US-Aktienmarkt eingestiegen ist – nach 14 Jahren Haltedauer gab es in keiner der betrachteten Perioden einen Verlust, und das, obwohl es in den vergangenen Jahrzehnten schwere Wirtschaftskrisen und Kriege gegeben hat. Selbst wer zu Rekordzeiten gekauft und danach die schlimmsten Crashs miterlebt hat, musste nach 14 Jahren keine Verluste mehr hinnehmen. Anleger sollten also mindestens so viel Zeit mitbringen, wenn sie in Aktien investieren wollen. Dann ist das Risiko überschaubar, völlig egal, wann man eingestiegen ist.
Kritikpunkt 4: Aktive Fonds können im Crash das Geld sicher anlegen und Verluste dämpfen, ein ETF muss dem Index hilflos nach unten folgen
Anleger, die auf simple ETFs setzten, würden in einem Börsencrash auf die Nase fallen, weil sie die Ausschläge der Börse nach unten voll mitnähmen, heißt es oft.
Doch Zahlen der amerikanischen Ratingagentur Standard & Poor's können diese Behauptung widerlegen: In dem schwierigen Börsenjahr 2018, als etwa der deutsche Leitindex Dax ein Fünftel seines Werts verlor, blieben in den meisten Fondskategorien 80 Prozent der Manager hinter Indexfonds zurück. Die höheren Kosten der Fonds sind dabei noch nicht einmal mit eingerechnet.
Kritikpunkt 5: Indexfondsanbieter wie Blackrock sind viel zu mächtig. Brechen sie zusammen, bringt das die globale Finanzarchitektur ins Wanken
Auch die US-Firma Blackrock, größter ETF-Anbieter, steht oftmals im Fokus der Kritik. Mehr als sechs Billionen US-Dollar verwaltet der Konzern inzwischen im Auftrag seiner Kunden. Viele Beobachter halten Blackrock deshalb für den mächtigsten Konzern der Welt. Der Arte-Film etwa zeichnet das Bild eines Finanzkraken, der die Welt beherrscht.
Tatsächlich sind die Summen, die der Konzern verwaltet, schwindelerregend hoch und für das menschliche Gehirn kaum mehr zu erfassen. Doch Kritiker stellen die Sache oft so da, als ob das Geld dem Konzern gehören würde. Richtig ist aber, dass der Konzern das Geld lediglich im Auftrag seiner Kunden verwaltet. Blackrock kann nicht einfach Aktien verkaufen, wenn, dann tun das die Kunden selbst.
Fakt ist außerdem, dass Blackrock trotz der immensen Summen nicht systemrelevant ist (im Unterschied zu einer großen Bank). Denn selbst wenn Blackrock pleiteginge, ist das Geld der Kunden als Sondervermögen geschützt. Die in Fonds gebundenen Wertpapiere sind sogenanntes Sondervermögen und liegen im Depot von Großbanken. Im Falle der Blackrock-Tochter iShares etwa bei der State Street. Sollte Blackrock oder ein anderer großer Vermögensverwalter tatsächlich einmal unter die Räder geraten, würden alle Fonds treuhänderisch von der Depotbank verwaltet. Insofern gäbe es keinen Ausverkauf, der alles mit sich nach unten reißen würde.
Dieser Text ist zum Teil ein Auszug aus dem Buch "Young Money Guide", das am 13. Januar 2020 erschienen ist.