Die Erwartungen an Joe Biden sind hoch: Bringt er die US-Wirtschaft nach der Corona-Krise wieder in Schwung und normalisiert er die Handelsbeziehungen? Wagen Sie mit uns einen Blick in die Zukunft.
Nach einem spannenden Wahlkampf und einem ebenso spannenden Auszählungskrimi stand es schließlich fest: Joe Biden wurde zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt. Selten wurde eine US-Wahl international mit so großem Interesse verfolgt wie diese. Das liegt nicht zuletzt daran, dass viele Beobachtende sie als richtungsweisend ansehen, beispielsweise in Bezug auf die weitere Entwicklung des Welthandels. Dazu kommt, dass die Vereinigten Staaten aufgrund der Corona-Pandemie vor enormen wirtschaftlichen Herausforderungen stehen – und damit auch der neue US-Präsident.
Höhere Steuern, höhere Ausgaben für Infrastruktur und Umwelt
Verbinden Sie die USA mit niedrigen Steuern? Das trifft nicht bei jeder Steuerart zu: Die Unternehmenssteuern betrugen bis zu 35 Prozent und waren höher als in Deutschland, bevor Trump sie auf 21 Prozent senkte. Biden plant, diese wieder zu erhöhen. Im Raum steht ein Steuersatz von bis zu 28 Prozent. Außerdem möchte er laut einer Analyse des Tax Policy Center Kürzungen der Einkommenssteuer rückgängig machen. Betroffen wären Spitzenverdiener und -verdienerinnen mit einem Einkommen von mehr als 400.000 US-Dollar pro Jahr. Darüber hinaus sollen sich steuerliche Subventionen für Öl- und Erdgas-Unternehmen verringern.
Wofür der Staat das Geld braucht? Den größten Posten stellen zusätzliche Investitionen von 4,45 Billionen US-Dollar in die Infrastruktur sowie den Klima- und Umweltschutz dar. Diesen Wert für den Zeitraum 2021 bis 2030 errechnete das Committee for a Responsible Federal Budget auf Basis des Wahlprogramms.
Gewinner und Verlierer von Bidens wirtschaftspolitischer Agenda
Insbesondere für fossile Energien dürften also härtere Zeiten anbrechen. Demgegenüber gehören beispielsweise Unternehmen aus den Bereichen erneuerbare Energien, energieeffiziente Technologien sowie E-Mobilität aller Voraussicht nach zu den Gewinnern. Aber behalten Sie im Hinterkopf: Hier spielt auch eine Rolle, inwiefern es der Biden-Administration gelingt, ihre Pläne umzusetzen. Da allerdings auch die kürzlich abgehaltene Stichwahl in Georgia zu Gunsten der Demokraten ausgefallen ist, kontrollieren diese nun sowohl das Weiße Haus als auch den Kongress. Es dürfte somit der Biden-Administration deutlich leichter fallen ihre politische Agenda umzusetzen, als bisher gedacht. Und was bedeutet diese Fiskal- und Wirtschaftspolitik für die USA in ihrer Gesamtheit? Moody's rechnet mit einem unterm Strich positiven Effekt.
Bidens Handelspolitik – stehen die Zeichen jetzt auf Entspannung?
Unter dem Motto „America First“ legte sich Donald Trump mit China sowie den Verbündeten in Europa an. Er brach die Verhandlungen zum Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) und Transpacific Partnership (TPP) ab. Zudem verhängte er Strafzölle, die beispielsweise Importe von Stahl, Aluminium, Solarpanels und Waschmaschinen aus dem Reich der Mitte trafen.
Können die Befürwortenden eines freien Handels jetzt aufatmen? So einfach scheint die Sache nicht zu sein. Denn auch Biden sieht Chinas Handelspraktiken offenbar kritisch: Anfang Dezember äußerte er in einem Interview mit der New York Times, dass er die Strafzölle vorerst nicht aufheben werde. Ebenso wenig steht aktuell das von Trump unterzeichnete Handelsabkommen „Phase 1“ zur Diskussion. Dieses sieht vor, dass China bis einschließlich 2021 US-Produkte im Wert von 200 Milliarden US-Dollar importiert.
Auch eine Personalentscheidung von Biden deutet darauf hin, dass sich an der harten Linie gegenüber dem asiatischen Land wenig ändern wird: Er machte Katherine Tai zu seiner designierten Handelsbeauftragten. Sie gilt als China-Kennerin und ebenso als China-Kritikerin.
Bessere Aussichten für die Beziehungen zwischen USA und Europa
Deutlich positiver stellt sich die Situation im Hinblick auf Europa und die USA dar. In Bezug auf den transatlantischen Handel hatte sich bereits Mitte des Jahres eine leichte Entspannung abgezeichnet. Sie erinnern sich vielleicht: Im August 2020 vereinbarten beide Seiten einen gegenseitigen Abbau von Zöllen. Das Europäische Parlament rechnet in einem Briefing vom Dezember 2020 mit einer weiteren Verbesserung des Verhältnisses.
Steht damit vielleicht ein Comeback von TTIP an? In der deutschen Industrie und in Teilen der deutschen Politik macht man sich entsprechende Hoffnungen. Von Joe Biden selbst war zu einem Wiedereinstieg in Verhandlungen zu einem transatlantischen Handels- und Investitionsabkommen bisher jedoch nichts Konkretes zu hören. Ob sich die Erwartungen in dieser Hinsicht erfüllen, wird die Zukunft zeigen.
Welche Perspektiven sehen Sie für die USA, Europa und China unter Präsident Biden? Teilen Sie Ihre Meinung mit uns und unseren Lesern und Leserinnen!
Fazit:
- Joe Biden setzt auf massive Investitionen in die Infrastruktur sowie den Klima- und Umweltschutz.
- Zur Finanzierung dienen geplante Steuererhöhungen, die vor allem Unternehmen sowie Spitzenverdienende treffen.
- Das Verhältnis mit China bleibt vermutlich gespannt – die Biden-Administration scheint vorerst bei der harten Linie zu bleiben.
- Es zeichnet sich eine Normalisierung der Beziehungen zu Europa ab, was Hoffnungen auf ein TTIP-Comeback beflügelt.