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Estland - von der Sowjetrepublik zum digitalen Musterland

15.05.2019 14:00

Zu Recht gilt der kleine baltische Staat Estland, der nur knapp über 1,3 Millionen Einwohner zählt, als Musterbeispiel für eine gelungene Digitalisierung. Im Gegensatz zu Deutschland setzte die ehemalige Sowjetrepublik frühzeitig auf E-Government.

 

Digitalisierung zum Wohle von Staat, Bürgern und Wirtschaft

 

Alle Einwohner Estlands besitzen eine elektronische Identität. Diese erleichtert ihnen den Zugang zu vielen verschiedenen Dienstleistungen der Verwaltung, wie zum Beispiel dem Melderegister oder dem Standesamt beziehungsweise der Krankenakte. Auf diese Weise werden wichtige Daten wie Informationen über chronische Erkrankungen, verabreichte Medikamente oder Röntgenbilder erfasst. So lassen sich kostspielige und belastende Doppeluntersuchungen wirkungsvoll vermeiden. Auch das hierzulande gegenwärtig intensiv diskutierte Thema Organspende ist in Estland elektronisch geregelt: Wer möchte, kann jederzeit per Mausklick in seinem Datenstammsatz entscheiden, ob er im Falle des Todes Organe spenden möchte oder nicht. Schulen und Universitäten halten Schüler, Eltern und Lehrer mithilfe von digitalisierten Lehr- und Stundenplänen auf dem Laufenden. Auch Noten und andere Beurteilungen können Berechtigte auf Wunsch jederzeit online einsehen. Wahlen aller Art, von der Kommunalwahl bis hin zur Europawahl, finden in Estland in Form von digitalen Abstimmungen statt. Von größeren Manipulationen oder Störungen wurde bislang nichts bekannt.

 

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Außerdem zeigt das Beispiel Estland, dass Ausgaben für die Digitalisierung der Verwaltung gut angelegtes Geld darstellen. Nach Einschätzung von Experten lässt sich mehr als ein Drittel des bisher erforderlichen bürokratischen Aufwands einsparen. Neben dem Effizienzgewinn sprechen zudem ökologische Gründe für eine weitreichende Digitalisierung: Sie macht riesige Papiermengen ebenso überflüssig wie eine große Anzahl an in Deutschland bis heute erforderlichen Behördengängen.

Der hohe Digitalisierungsgrad zeitigt messbar positive Folgen für das Wirtschaftswachstum. Die Regierung des baltischen Landes geht davon aus, dass immerhin zwei Prozent des jährlichen Anstiegs des Bruttoinlandsproduktes auf diesen Faktor zurückzuführen sind.

 

Vielseitig einsetzbar und praktisch - der digitale Personalausweis

 

Darüber hinaus können die Bürger des baltischen Staats ihre elektronische Identität nutzen, um private Geschäfte unkompliziert abzuwickeln. Sie haben zum Beispiel die Möglichkeit, Tickets für den öffentlichen Personennahverkehr einfach über einen Chip in ihrem Personalausweis zu bezahlen. Bei Kontrollen zeigen Inhaber einer Monatskarte für den Bus ihren Personalausweis vor, denn das Abonnement ist ebenfalls auf dem Chip gespeichert.

Die auf dem Ausweis hinterlegte Identität ermöglicht den Bürgern Estlands, ihre Steuererklärung digital abzugeben oder Eintragungen im Grundbuch einzusehen. Anscheinend funktioniert dieses System wesentlich einfacher als ELSTER, das Pendant der deutschen Finanzverwaltung. Immer noch reicht eine große Anzahl von Einkommensteuerpflichtigen die Steuererklärungen lieber auf den amtlichen Papiervordrucken als in digitaler Form ein.

 

Mustergültiger Datenschutz

 

Die digitale Verwaltung findet bei den Bürgern Estlands großen Anklang, sodass sie die verschiedenen angebotenen Funktionen intensiv nutzen. Dies ist auch ein Resultat der strikten Vorschriften zum Datenschutz, deren Einhaltung streng überwacht wird. Bei Missbrauchsfällen drohen den Tätern hohe Strafen. Dabei ist auch zu bedenken, dass Estland selbstverständlich unter die restriktive Datenschutzverordnung der EU fällt. Darüber hinaus steht der kleine Staat auch wegen des großen Nachbarn im Osten unter dem Druck, die digitalisierten Daten seiner Bürger so gut wie möglich zu schützen. Estland zögerte im Gegensatz zu Deutschland nicht, die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung konsequent umzusetzen. Das Land an der Ostsee beweist, dass die hierzulande immer wieder als Argument gegen eine fortschrittliche Datenverwaltung vorgebrachten Sicherheitsbedenken nicht stichhaltig sind.

Ganz im Gegenteil: Digitalisierung kann durchaus zu mehr Sicherheit führen. So sind zahlreiche Polizeiautos des nördlichsten baltischen Staates mit einem praktischen Scanner ausgestattet. Er liest automatisch die Nummernschilder im Straßenverkehr und schlägt Alarm, sobald er ein gestohlenes Fahrzeug im Visier hat.

 

Ursachen der digitalen Überlegenheit Estlands

 

Viele deutsche Verbraucher fragen sich, warum Estland die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung perfekt umsetzen konnte, während hierzulande ein großer Teil der Aufgaben noch analog beziehungsweise mit veralteter Computertechnik erledigt wird. Neben der - meist unbegründeten - Angst vor Datenmissbrauch ist dieser Vorsprung des baltischen Staates auch seiner Geschichte zuzuschreiben: Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Unabhängigkeit der baltischen Länder musste Estland schnell eine moderne Verwaltung aufbauen. Während hierzulande der Öffentliche Dienst eine jahrhundertealte Tradition besitzt und über eine funktionierende Infrastruktur verfügt, war dies in Estland nicht der Fall. Hier war nach dem Ende der sowjetischen Vorherrschaft ein Neustart bei Null erforderlich. Glücklicherweise entschied sich die Regierung, von Anfang an eine digitalisierte Verwaltung aufzubauen.

 

Fazit:

 

  • Estland kann durchaus als Beispiel für Deutschland dienen, um die öffentliche Verwaltung schnell zu digitalisieren
  • Bürger und Wirtschaft schätzen die digitalen Dienstleistungen der Verwaltung, weil sie sich auf optimalen Datenschutz verlassen können
  • Wenn Deutschland international nicht abgehängt werden möchte, muss es die Digitalisierung intensiv vorantreiben

 

Wie schätzen Sie die Chancen Deutschlands ein, die notwendige Digitalisierung zeitnah voranzutreiben? Beteiligen Sie sich an unserer Diskussion.